Freiheitsentziehende Maßnahmen (feM) rücken – nicht zuletzt aufgrund der medialen Inszenierung - in regelmäßigen Abständen in den Fokus der (Fach-)Öffentlichkeit. 2012 wurde von der Universität Hamburg und der Universität Witten/Herdecke eine Leitlinie zum Thema freiheitsentziehende Maßnahmen erstellt, welche basierend auf pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen dazu beitragen soll eine evidenzbasierte Handlungssicherheit zu liefern, bei welcher die Menschenwürde der Pflegeempfänger nicht beschnitten wird. Freiberuflich Pflegende bekommen hier einen Überblick über den aktuellen Stand des Wissens.
Freiheitsentziehende Maßnahmen gehören leider zur „gefestigten Versorgungspraxis“ (Köpke et al. 2012: 16). Die häufigsten freiheitsentziehenden Maßnahmen sind laut Literatur Bettgitter, Gurte in Bett und an Stuhl sowie als auch spezielle Stühle mit Stecktischen. Laut der Hamburger-Studie zur Ermittlung der Prävalenz freiheitsentziehender Maßnahmen betrug die Häufigkeit der Durchführung einer mechanischen freiheitsentziehenden Maßnahme 26,2% (Meyer et al. 2008).
Laut Grundgesetz stellt jeder Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit eines Menschen eine freiheitsentziehende Maßnahme dar (Art. 2, Absatz 2 GG). Das Thema Freiheitsberaubung wird vom Gesetzgeber im Strafgesetz wie folgt aufgegriffen:
Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar. (§239 StGB)
Eine Freiheitsberaubung liegt dann vor, wenn die persönliche Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt wird. Der natürliche Wille eines Menschen, seinen Aufenthaltsort zu verändern, darf nicht beschnitten werden. „Als Mittel, die Freiheit zu berauben, kommen vor allem das Einsperren, aber auch das Festbinden oder die Fesselung („Fixierung“) in Betracht“ (Hell 2013: 188).
In der Pflege kann es durchaus eine gerechtfertigte „Beraubung“ der Fortbewegungsfreiheit geben:
Bei Notwehr oder rechtfertigendem Notstand, kann eine freiheitsentziehende Maßnahme auch ohne richterliche Genehmigung vom Arzt angeordnet werden. Diese ist allerdings innerhalb von 24h einzuholen. Ist die Gefahr abgeklungen, muss die freiheitsberaubende Maßnahme unverzüglich beendet werden. Dies bedarf unbedingt einer lückenlosen Dokumentation (Mürbe 2015: 127). Eine freiheitsberaubende Maßnahme darf ohne richterliche Genehmigung nicht wiederkehrend (z.B. abends die Bettgitter hochstellen) oder über einen Zeitraum von 24h stattfinden. Dies erfüllt den Tatbestand der Freiheitsberaubung.
Gründe für freiheitsentziehende Maßnahmen
Gründe für die Durchführung freiheitsentziehender Maßnahmen lassen sich laut der Leitlinie in vier Hauptkategorien einteilen (Köpke et al. 28-39). Die unten aufgeführten Gründe stellen selbstverständlich keine Indikationen dar, sondern werden vielmehr von Pflegenden im beruflichen Handlungsfeld auf die Frage hin aufgeführt, weshalb es zu einer freiheitsentziehenden Maßnahme kommt bzw. weshalb eine solche notwendig war:
Empfehlungen und Ergebnisse der Leitlinie
Nachfolgend finden sich die prominentesten Empfehlungen und Ergebnisse der Leitlinie zur Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen zusammengefasst:
Bezüglich der Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen gilt es mit Mythen und lediglich tradierten Wissen aufzuräumen. Freiberufler beachten dabei die Erkenntnisse der Leitlinie zur Reduktion von feM. Es gilt freiheitseinschränkende Maßnahmen soweit wie möglich zu vermeiden und ihre Durchführung kritisch zu diskutieren, um sich der subjektiven Theorien, die zu einer feM führen, bewusst zu machen. Freiberuflich Pflegende beachten die rechtlichen Vorgaben zur Ergreifung freiheitsentziehender Maßnahmen, sollte eine solche Intervention sich nicht vermeiden lassen.
Da die Experten der Leitlinie an vorderster Stelle die Information, z.B. im Rahmen von Schulungen stellen, gilt es für freiberuflich Pflegende dies in zwei Aspekten zu wiederholen und zu vertiefen: Erstens das Rekapitulieren des Fachwissens zur Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen und zweitens das Knowhow zur rechtskonformen, fachlich korrekten sowie als auch menschenwürdigen Durchführung freiheitsbeschneidender Maßnahmen.
Quellen
Hell W (2013) Alles Wissenswerte über Staat, Bürger, Recht. Staatsbürger- und Gesetzeskunde. 7.A. Stuttgart.
Köpke S et al. (2012) Leitlinie FEM – Evidenzbasierte Praxisleitlinie. Vermeidung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen in der beruflichen Altenpflege. Universität Hamburg & Universität Witten / Herdecke. URL: http://www.leitlinie-fem.de/download/LeitlinieFEM.pdf (letzter Zugriff: 29.03.2016).
Meyer et al. (2008) Restraint use among nursing home residents: cross-sectional study and prospective cohort study. Journal of Clinical Nursing, 18, 981–990. URL: http://www.gesundheit.uni-hamburg.de/upload/Restraint%20use%20among%20nursing%20home%20residents.pdf (letzter Zugriff: 29.03.2016).
Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) (Hrsg.) (2015) Gewaltprävention in der Pflege. ZQP-Themenreport. http://www.pflege-gewalt.de/broschuere.html?file=upload/pdfs/B_TR_Gewalt_11web_vf.pdf (letzter Zugriff: 29.03.2016).